Ich war ich mir schon die ganze Schwangerschaft sicher, dass ich einen Geburtsbericht verfassen möchte. Denn ich selbst habe unzählige Berichte anderer Frauen verschlungen. Ich weiß, dass viele Schwangere Geburtsberichte meiden, um sich nicht unnötig verrückt zu machen. In diesem Falle aber mal keine Triggerwarnung: es folgt keine Horrorgeschichte. Stattdessen ein Bericht einer Geburt, die ganz anders verlief, als erwartet. Und die wir dennoch durchweg positiv erlebt haben.
Mein Geburtsbericht
Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich das einmal sagen werde, aber die Geburt war ein sehr schönes Erlebnis. Ich denke gerne an jeden Moment dieser 18 Stunden zurück. Ich bin stolz auf mich und auf uns, was wir da geschafft haben. Und ich bin irre dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte.
Selbstverständlich ist das nämlich nicht. Bereits vor Emil war ich schwanger, habe das Kind aber bereits früh verloren. Es wurde eine Gerinnungsstörung festgestellt, die unbehandelt im ersten Trimester mit großer Wahrscheinlichkeit zum Abort führt. Dass ich wieder schwanger wurde und Emil heute hier neben mir liegt, das ist für mich also keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sondern großes Glück.
Montag, 16. September 2019, 2 Uhr
In der Nacht zum Montag platzte meine Fruchtblase. Nicht wie im Film mit einem lauten Pflatsch, aber trotzdem denkwürdig: Auf dem Weg zur Toilette zog ich eine Wasserspur hinter mir her und es hörte nicht auf. Da kam – noch im Halbschlaf – der Gedanke an einen Blasensprung. Mit dem hatte ich so gar nicht gerechnet und so mussten mein Mann und ich nachts um zwei Uhr erst mal intensiv googeln, ob wir jetzt tatsächlich ins Krankenhaus fahren sollten.
Sollten wir, waren sich alle Google-Ergebnisse einig. Eine Stunde später watschelte ich wie ein Thermalbad-Besucher mit um die Hüfte gebundenem Handtuch in die Krankenhaus-Lobby. Auf dem Weg in den Kreißsaal die erste Hürde: Die Aufzüge waren defekt. Wie sich zeigen sollte, war das nicht der einzige unglückliche Umstand an diesem Tag…
Denn bei den Kreißsälen angekommen, zeigte sich, dass vor uns noch drei weitere Schwangere in dieser Nacht angekommen waren. Und es sollten noch mehr werden. Ein CTG-Raum war jedoch gerade noch frei und es zeigte sich, dass es Emil im Bauch trotz schwindendem Fruchtwasser noch gut ging. Der behandelnde Arzt sprach gleich von Einleitung, obwohl der Muttermund bereits geöffnet war und einem natürlichem Geburtsverlauf eigentlich nichts im Wege stand. Dennoch wurde in meiner Akte vermerkt, dass spätestens um 14 Uhr mit Medikamenten eingeleitet werden sollte. Ich hoffte also sehr, dass es vorher von alleine losgehen würde.
Wir bekamen ein Zimmer auf Station. Mein Mann ging nochmal nach Hause um etwas vorzuschlafen, auch ich wollte mich etwas ausruhen, bekam aber natürlich kein Auge zu. Auch weil gegen vier Uhr die ersten Wehen kamen. Was war ich froh! Alle zehn Minuten, ganz regelmäßig und gut aushaltbar.
Bis 14 Uhr waren wir sehr aktiv, veratmeten die Wehen auf dem Zimmer, beim Spazierengehen oder sogar in der Cafeteria. Die Schmerzen waren erträglich, wie starke Regelschmerzen – die ich nur zu gut kannte.
Am Mittag dann wurden die Wehen regelmäßiger und kamen bereits alle 7 bis 8 Minuten. Zum Glück gerieten wir zur Untersuchung an eine erfahrene Hebamme, die sich gleich gegen die Einleitung aussprach. Ich war bereits in einem Zustand, in dem ich wahrscheinlich bei einer medikamentösen Einleitung nicht mehr wiedersprochen hätte. Während den Wehen musste ich mich voll auf meine Atmung konzentrieren.
Statt also einzuleiten, dehnte die Hebamme den Muttermund, um den Geburtsverlauf etwas zu beschleunigen. Das war zwar irre schmerzhaft, zeigte aber Wirkung. Bis 17 Uhr steigerten sich die Wehen erheblich, wurden intensiver, kamen öfter und hielten länger an. Bis dahin hatten wir in unserem voll besetzten Dreibett-Stationszimmer weiter veratmet. Mitten in der Besuchzeit. Zwischendurch waren bis zu zehn Leute im Raum, während die Wehen langsam so stark waren, dass an eine normale Unterhaltung nicht mehr zu denken war.
Zeit für uns, noch einen Versuch im Kreißsaal zu starten. Da war ich mir noch sicher: Jetzt müssen sie uns einen Kreißsaal geben – immerhin geht es jetzt definitiv langsam ans Eingemachte.
Montag, 16. September 2019, 17 Uhr
Doch oben wurden wir wieder vertröstet. Weder ein Kreißsaal, noch ein Wehenzimmer waren frei. Ich war zu beschäftigt, die nächste Wehe zu überstehen, als dass mich das wirklich hätte tangieren können. Irgendwie kommen wir mir im Nachgang sehr gelassen vor, wenn ich so zurückdenke. Wir wurden gebeten im Wartebereich Platz zu nehmen. Völlig absurd – ruhig sitzen konnte ich nämlich längst nicht mehr.
Die Wehen kamen jetzt bereits etwa alle 2 Minuten und wurden von Mal zu Mal heftiger. Da befanden wir uns schon mitten in der besonders fießen Übergangsphase. Wusste ich in dem Moment natürlich nicht.
Wir verzogen uns also an den einzigen ruhigen Ort, der uns zur Verfügung stand: auf die Dachterrasse. An die Minuten (oder Stunden?) dort kann ich mich am lebhaftesten erinnern. Wir waren zu zweit. Keine Hebamme, kein Arzt, keine Hilfsmittel wie Gymnastikball, Bett, Hocker oder Schmerzmittel. Also lief ich umher, lehnte mich wahlweise an das Geländer der Terrasse oder an meinen Mann und war zunehmend erschrocken darüber, wie wenig Abstand zwischen den Wehen blieb, um durchzuatmen und Kraft zu sammeln. Auch wenn mein Mann ruhig und gelassen blieb (was eine riesen Hilfe war), lief er nun immer öfter zu den Hebammen und bat mit Nachdruck um ein Zimmer.
Montag, 16. September 2019, 19 Uhr
Das bekamen wir dann am Abend auch endlich. Zwar kein Kreißsaal, aber immerhin ein Raum für uns. Wie ich jetzt weiß, begannen da die schmerzhaftesten zwei Stunden der Geburt. In der Übergangsphase öffnet sich der Muttermund vollständig auf etwa 10 Zentimeter. Sie gilt als die schwerste Phase und das war sie auch wirklich. Zwischen den Wehen ist keine Zeit zum Ausruhen mehr, sie überrollen einen regelrecht und man fragt sich nach jeder: Wie schlimm wird das hier noch? Für richtige Sorgen oder gar Angst blieb aber kaum Zeit oder Energie. Ich war voll bei den Wehen, bei der Atmung, bei mir.
Ungefähr um die Zeit bekam ich eine Infusion mit Schmerzmittel. Das krampflösende Mittel hielt etwa eine Stunde und schwächte die Intensität der Wehen etwas ab. Vor allem vernebelte es etwas meine Wahrnehmung, so dass ich etwa eine Stunde wie auf Droge war. Ein angenehmer Zustand, der pünktlich zum Beginn der Austreibungsphase endete.
Montag, 16. September 2019, 20 Uhr
Denn jetzt spürte ich, dass sich die Wehen veränderten. Die Wehenatmung, die mich über Stunden gerettet hatte, war plötzlich vergessen und ich spürte, dass es jetzt ernst wurde. Mein Mann holte also erneut die Hebamme, die zu diesem Zeitpunkt übrigens vier Geburten gleichzeitig betreute. Die schien aber noch nicht so recht zu glauben, dass wir schon bereit für die Geburt sind und ließ sich noch viel Zeit. Ich war mir allerdings ganz sicher und nach der Untersuchung war auch sie überzeugt: Der Muttermund war offen und was sich plötzlich so anders angefühlt hatte waren tatsächlich Presswehen. Nach 17 Stunden ging es jetzt also endlich los.
Ich wurde direkt auf dem Bett liegend in den Kreißsaal geschoben. Endlich war auch die Hebamme voll für uns da. Mir hat es unheimlich geholfen, wie ruhig alle um mich waren. Mein Mann, die Hebamme – das gab mir das Gefühl, dass alles was passierte, normal war, dass die Geburt ihren natürlichen Verlauf nahm. Emils Herztöne waren die ganze Zeit in Ordnung, es gab keinen Grund zur Besorgnis und so konnte ich mich voll auf die Wehen konzentrieren. Zwischen denen hatte ich sogar wieder einige Minuten (oder Sekunden?) Zeit zu atmen und auszuruhen. Das hat die Natur toll eingerichtet, denn zum Schluss braucht man wirklich jede Kraftreserve, die man noch hat. Eine kleine Pause zwischen den Wehen kann da Wunder bewirken.
Ab diesem Zeitpunkt dauerte es noch 46 Minuten, bis unser Junge auf die Welt kam. Dieses Bild dieses kleinen blauen, schreienden Bündel Mensch, das da plötzlich lag, werde ich niemals vergessen. Den Moment, als er auf meiner Brust lag und so laut und kräftig schrie. Der Moment, als er aufhörte zu schreien, als er uns das erste Mal ansah. Sein erstes Glucksen. Das erste Mal stillen, das erste Mal Mama sein.
Ich wollte diesen Bericht auch deshalb schreiben, weil ich sagen wollte: Eine Geburt ist kein Spaziergang, aber sie ist auch nichts wovor man sich fürchten sollte. Ich habe mir zu viele Sorgen gemacht und hatte ab und an auch Angst vor dem, was mich bei der Geburt erwarten würde. Jetzt aber bin ich sicher, wir schaffen das alle. Unsere Körper halten das aus und unsere Intuition sagt uns ganz genau, was wir bei der Geburt zu tun haben.
Wir haben uns im Krankenhaus sehr wohl gefühlt und wissen auch, dass keiner etwas für die etwas chaotische Situation vor Ort kann. Und vielleicht hatten wir Glück im Unglück, denn gerade weil wir auf uns allein gestellt waren, konnte ich eine total selbstbestimmte Geburt erleben. Eine Geburt, die ganz natürlich verlaufen durfte und in die so gut wie gar nicht eingegriffen wurde.
Jetzt kann ich sagen: Eine Geburt ist etwas wundervolles. Schwer, anstrengend, schmerzhaft und trotzdem ein Wunder und nichts, wovor man sich fürchten sollte.
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